Corona-Geographie & Ansätze von Heilung
Tief sind die Gräben, gravierend die Wunden. Ich glaube nicht, dass die Zeit das alles zuschütten, das alles heilen kann. Einfach Schwamm drüber und vergessen? Wird nicht funktionieren. Nein, es wird Einsatz und Arbeit brauchen. Viel Einsatz. Viel Arbeit. Sehr tief werden wir in uns selber graben müssen, um schliesslich auch den anderen verstehen zu können. Um ihm dann hoffentlich auch vergeben zu können.
Es spricht Bände, dass sogar eigentlich wohlgesinnte Freunde im Medien-Nazi, den ich an der Anti-Zertifikats-Demo nur inszenierte, einen tatsächlichen Nazi sahen. Ein totales Arschloch, einen rücksichtslosen Egoisten, der nicht bereit ist, Schwächere und Gebrechliche zu schützen. Der verantwortlich ist, wenn Pflegende die tausendste Überstunde leisten müssen und ja, man muss es sagen, der sich schuldig macht, wenn Patienten sterben, weil ihre Operation wegen Kapazitätsüberlastungen verschoben werden musste. Er auch, der mit seinem asozialen Verhalten und der Verweigerung der erlösenden Impfung die Pandemie und die Einschränkungen grundlos für alle in eine gefühlte Ewigkeit verlängert. Weiss Gott Grund genug für Wut. Und weil auch der mediale Ausdruck davon in wütigen Argumentationsketten bei den Ungeimpften zu keinem Nachgeben führte, geschweige denn zu Erkenntnis, staute sich diese Wut im Gärkessel eines behördlich eingedampften Lebens an und verwandelte sich zu Hass. Und so wurden aus Freunden Feinde.
Auf der anderen Seite passierte es mir auch, dass ich sehr wütend wurde, wenn sonst gute Freunde eine Impfpflicht forderten. Ich akzeptierte ihre Entscheidung, dem herrschenden Narrativ zu vertrauen und sich impfen zu lassen. Konnte das auch einigermassen verstehen. Aber dann im Wissen darum, dass sich Kollegen und Freunde wie ich unter keinen Umständen oder nur unter physischem Zwang würden behandeln lassen, trotzdem eine Verpflichtung für alle fordern? Bei dieser Vorstellung lief es mir kalt den Rücken ab und fühlte sich nicht nur an wie ein Verrat, sondern wie ein durch sie zumindest in Kauf genommener Vergewaltigungs-Versuch, wie ein Einbruch in die körperliche Intimzone der eigenen Zellen, ein Durchstechen von Wille, Würde und Selbstbestimmung. In solchen Momenten sah ich in ihnen auch nur noch fanatische Gläubige, ja sogar – reziprok, genauso wie sie in mir – Faschisten. Nazis. Verirrte, welche sich der neuen, weltumspannenden, anscheinend fast allmächtigen pharmazeutischen Erlösungs-Sekte angeschlossen hatten und alles niedertrampeln würden, was sich ihnen in den Weg stellte.
Ein wahrhaft giftiger psychologischer und gesellschaftlicher Cocktail gegenseitiger Vorwürfe und Schuldzuweisungen. Von beiden Seiten aus betrachtet geht es um Leben und Tod. Und für beide Seiten ist immer die andere Seite verantwortlich dafür, dass der Tod sich ausbreitet und Leben verloren geht. Diese Zeit wird noch lange nachwirken und ein harmonisches Zusammenleben so schnell nicht mehr gestatten. Wir können nicht einfach so zum „Courant normal“ zurück. Auch wenn da jetzt nicht auch noch die Ukraine wäre, wo es einem vorkommt, als würde sich der Meinungskrieg über den Virus direkt in einen realen Krieg übersetzen.
Was waren, was sind denn die verschiedenen Sichten, welche sich da zeigten und immer noch zeigen? Wie und warum entwickelten sich auf beiden Seiten so unterschiedliche, so diametral entgegengesetzte Glaubenssätze? Gehen wir doch am besten zu den beiden Polen, zu den Extremen der sich entgegenstehenden Narrative, um zu verstehen, wie und warum die gegenseitige Entfremdung passierte. Da steht also an einem Pol, sagen wir im Norden, ein sich im gegenwärtigen System normalerweise relativ gut fühlender, auch finanziell meist gut situierter Mensch. Er informiert sich fast oder ganz ausschliesslich über „offizielle“ Kanäle wie Radio, Fernsehen oder Tageszeitungen und glaubt in der Regel, was er da hört, sieht und liest. Wenn dieser Mensch krank ist, geht er zum Dr. med., vertraut dessen Rat und nimmt seine Medizin nach Rezept. Nun hat er gehört und gelesen, dass Covid ein ganz gefährlicher Virus ist, welcher viele Menschen sterben lässt und noch mehr langfristige gesundheitliche Schäden zurücklässt. Und dann, nach langen Monaten des Bangens und Sorgens, nach täglichen, ja fast stündlichen Updates zum Infektionsgeschehen, nach zunehmenden Einschränkungen im öffentlichen und privaten Alltag, schreiben die Leitmedien in ganz grossen Lettern, dass die Wissenschaft einen Ausweg aus der Krise gefunden hat. Eine ganz neue, geniale Methode, eine praktisch nebenwirkungsfreie Impfung mit 95% Wirkungsgrad. Die Lösung ist da. Hurra! schrie da der Mensch vom Nordpol.
Dem gegenüber steht der etwas andere Mensch am Südpol. Er hat die Lösung nicht mit der gleichen Euphorie begrüsst. Er ist viel kritischer eingestellt gegenüber Wissenschaft und Fortschritt. Viele am Südpol sind nicht gleich integriert ins traditionelle Wirtschaftssystem, verdienen sich ihr Leben nicht so leicht, straucheln vielleicht. Gerade die staatlichen Corona-Massnahmen brachten sie oft in noch grössere Schwierigkeiten. Und so übt der Mensch Systemkritik und sucht sich andere Lebens- und Glaubensentwürfe. Oft auch bedingt durch eigene Erfahrungen glaubt er nicht unbedingt, dass ihm Schulmedizin guttut. Mit alternativer Medizin hat er bessere Erfahrungen gemacht. Er beschäftigt sich oft ausgeprägt mit existentiellen, spirituellen Fragen. Dieser Mensch glaubt, dass Krankheiten zum Leben gehören und ihm oft sogar wertvolle Botschaften vermitteln. Er hat sich weitgehend von den offiziellen grossen Informationskanälen verabschiedet, weil sie für ihn Propaganda darstellen. Er sucht im Netz und auf Portalen nach unzensierten Informationen und tauscht sich mit ähnlich Gesinnten aus. Und da hat er dann auch gehört, dass der Virus nie isoliert wurde, der PCR-Test völlig unzuverlässig sei und höhere Sterberaten vor allem mit falscher Behandlung zu tun hatten; später wahrscheinlich sogar mit der Impfung selbst. Aufgrund solcher Informationen kam er zum Schluss, der empfohlenen präventiven Behandlung nicht zu vertrauen. Eher betrachtet er die Pandemie als grösstenteils von einer herrschenden Elite gesteuerte Inszenierung, als Panikmache zur Rechtfertigung des unabwendbaren Systemkollapses und der damit verbundenen Notwendigkeit zunehmender sozialer Kontrolle und Überwachung.
Wollen wir nun aber den Fokus ändern. Gibt es einen Ausgang aus dieser dunklen Höhle (oder Hölle?) der gegenseitigen Anfeindungen und Beschuldigungen? Gibt es irgendwo ein Licht, das uns hinausführen könnte? Denn wir müssen da raus! In der gegenwärtigen Verfassung, bei der tiefen Spaltung wird eine Verständigung über dringend anstehende Probleme unmöglich. Wenn wir schon beim Bild der Höhle sind, würde es vielleicht helfen, ganz weit in die Vergangenheit zu gehen und uns ein berühmtes Gleichnis wieder mal vor Augen zu führen. Platon fragt: „Glaubst Du die Menschen hätten von sich selbst und voneinander je etwas Anderes zu sehen bekommen als die Schatten, die das Feuer auf die ihnen gegenüberliegende Seite der Höhle wirft?“ Nein, haben sie nicht. Die ganze Wirklichkeit von uns selber, aber auch die des anderen, diese ganze Wirklichkeit können wir niemals erfassen. Wir machen uns immer nur eine Vorstellung innerhalb unseres inneren Wertsystems von der unendlich viel komplexeren Wirklichkeit. Eine Bewusstwerdung über diese Tatsache könnte zur Relativierung des eigenen Standpunktes beitragen. Relativierung ist wohl die wichtigste Voraussetzung um wieder einen Schritt zum anderen hin machen zu können.
Ich war in der Corona-Zeit hin- und hergeworfen. Meistens irgendwo in der Mitte der Pole angesiedelt sah ich Einleuchtendes auf beiden Seiten. Erste Corona-Demo-Teilnahme erst am 8. September 2021 in Bern. Weil ich dachte: jetzt reicht’s aber, das geht zu weit, so eine digitale Zertifizierung von Menschen führt zur Segregation des Volkes und könnte ein Einfallstor für Faschismus sein.Ich informiere mich immer über Medien beider Pole. Hab eine Tageszeitung abonniert aber auch Telegram-Kanäle von Corona-Skeptikern. Beim Studium der verschiedenen Nachrichten habe ich festgestellt, dass die verschiedenen Haltungen und Glaubenssätze der Leute primär mit ihren Informationsquellen zusammenhängen. Dabei haben die Vertreter des offiziellen Narratives auch das Fact-Checking der Mainstream-Medien übernommen und folgen deren Framing von konträren Meinungen als „Falschmeldungen“. Immer öfter bekommen diese Menschen vom Mainstream abweichende Informationen gar nicht mehr mit, weil diese irgendwo im weltweiten Informations-Dschungel einer grossen Zensur-Säge zum Opfer gefallen sind. Auf der anderen Seite gibt es Leute, die irgendwelche reisserischen Botschaften einfach unkritisch aufsaugen und weiterplappern. Was uns zur zweiten wichtigen Erkenntnis zur Reaktivierung eines Dialoges führt: die andere Seite hat ganz andere Informationen! Vor allem deshalb beurteilt sie das Thema anders und kommt zu einer anderen Sicht. Zu einer anderer Anschauung. Die Frage nach den hauptsächlichen Informationsquellen des Gegenübers ist darum in jedem Fall hilfreich.
In einem anderen sehr alten Text, in Patanjali’s Yoga-Sutren, gibt es einen wertvollen Hinweis für den geistigen Entwicklungsprozess, für die Kontrolle unserer Gedanken: „Störende Gedanken können durch das Denken an ihr Gegenteil überwunden werden.“ Die Übung soll dazu führen, uns zu befreien von Schleiern und Brillen, welche uns daran hindern, die Wirklichkeit unmittelbar zu erfahren. Auf unsere Corona-Überzeugungen bezogen würde es bedeuten, uns im Norden erst einmal zu fragen, ob wir denn wirklich so sicher sein können, dass unsere Überzeugungen Wahrheiten sind. Ob wir nicht auch getäuscht sein könnten. Vielleicht ist es ja wahr, dass meine Medien der Wahl interessengesteuert sind und mir nur einen ganz bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit zeigen? Wurde uns da mit den 95% Wirkungsgrad quasi ohne Nebenwirkungen nicht tatsächlich viel zu viel versprochen? Auf der anderen Seite müssten sich die Leute am Südpol fragen, ob es denn nicht auch wahr sein könnte, dass Covid wirklich eine schwere und vor allem besondere Krankheit ist oder zumindest war? Warum sollten sich das Intensivpfleger auf der ganzen Welt einbilden? Warum sollten die alle lügen? Vielleicht ist es ja auch wahr, dass viele Menschen noch jetzt und hier unter Langzeitfolgen leiden, auch wenn ich das nicht direkt mitbekomme? Vielleicht ist es ja auch wahr, dass die Wissenschaft und Forschung eigentlich Gutes beabsichtigen? Und war ich nicht auch selber schon einmal sehr froh für die Schulmedizin? Vielleicht hat die Impfung ja vielen wirklich geholfen? Vielleicht ist es ja auch wahr, dass gewisse Vertreter alternativer Theorien sich in geistige Nebelbänke verirrt haben? Zu einem massenhaften Sterben von Geimpften, wie einige voraussagten, ist es ja bisher noch nicht gekommen.
Die Verabsolutierung des eigenen Standpunktes macht es schwierig, überhaupt noch hinübersehen zu können zum anderen Pol und diesen zumindest als Gegenteil der eigenen beschränkten Erkenntnis als eine andere Wirklichkeit anzuerkennen. Die Verabsolutierung des eigenen Standpunktes fällt natürlich besonders leicht, wenn sie schon von höherer Stelle betrieben und sozusagen staatlich legitimiert wird. Man fühlt sich dann im Recht. So wie ein Kind in der Schule, das vom Lehrer oder der Lehrerin gelobt wird. Das kann einem ein Gefühl von Sicherheit geben, von Überlegenheit auch. Eine Relativierung wird dann oft gar nicht mehr gewünscht. Denn sie wäre verbunden mit innerer Verunsicherung. Vielleicht auch mit äusserer Verunsicherung. Denn auch gegen aussen könnten wir den staatlich vorgegebenen einen Standpunkt nicht mehr so resolut verteidigen. Auf der anderen Seite, am Südpol, funktioniert es nach dem gleichen Muster. Die Dämonisierung der Gegenseite führt zu einem Gefühl von Einheit und Zugehörigkeit. Auch hier zu einem Gefühl der Überlegenheit. Alles eigentlich gar nicht sehr verschieden, einfach zwei spiegelbildliche Reaktionen auf die eine übergeordnete Erwartungshaltung der Autorität. Und auch hier die Frage nach dem Gegenteil: könnte es nicht auch Situationen oder Fragen geben, wo ich den anderen Weg wählen würde oder vielleicht sogar wählen müsste? Weil ich mit dem vorherrschenden Narrativ einverstanden wäre. Oder weil die persönlichen Kosten einer Opposition einfach untragbar sein könnten. Meine Kosten oder die Kosten für die ganze Familie. Oder auf der anderen Seite: könnte es Situationen geben, wo ich innerlich so überzeugt wäre von einer abweichenden Sichtweise, dass nichts als Opposition möglich bliebe? Auch hier wieder der Versuch zum Verständnis des anderen. Wenn wir nicht einmal mehr den Versuch wagen, ist Verständnislosigkeit programmiert. Und damit letztlich Sprachlosigkeit. Abspaltung, Ausgrenzung.
Etwas, das wir ja eigentlich alle nicht wollen, oder?[/vc_column_text][vc_column_text]
Fribourg, 29.3.2022